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Weltmusik vom Allerfeinsten

Beim Tango-Abend der Philharmonischen Gesellschaft fasziniert Lothar Hensel das Publikum mit seinem Bandoneon.

Weltmusik vom Allerfeinsten

Paderborn. Na, die traut sich was, die Philharmonische Gesellschaft Paderborn e.V. als Veranstalter der „Tango-Sensations" in der ehrwürdigen Kaiserpfalz zu Paderborn: Nicht nur, dass sie äußerst sinnenfreudige Musik (man kann auch durchaus sagen: erotisch angehauchte Musik) in die ehemalige Trutz- und Versammlungsstätte von Kaisern wie Karl dem Großen und Heinrich dem IV. bringt, überlässt sie die Zelebration derselben einem leibhaftigen Dom-Musikdirektor, sowie einem Solisten von Weltruf. Was sagen wir dazu? Dieses: Gott sei Dank traut sie sich.

Spaß beiseite, was das zahlreich erschienene Publikum am Sonntag zur Vesperzeit zu hören bekam, war Weltmusik vom Allerfeinsten, interpretiert von Könnern ihres Metiers und freudig begeistert aufgenommen vom Publikum. Und die wichtigste Erkenntnis des Abends: Es gibt ein Weiterleben nach Piazolla für die Welt-Tangomusik. Der Reihe nach. Lothar Hensel ist ein Meister des Bandoneons. Er spielt auf der ganzen Welt, komponiert für sein Instrument und bringt die Tangomusik existenziell weiter.

Es ist geradezu unglaublich, welch Farbenreichtum er virtuos aus seinem doch recht kleinen Instrument herausholt. Das Bandoneon ist ja von der Bauweise verwandt mit dem Akkordeon, allerdings hat es eine quadratische Form und keine Tasten für die rechte Hand, nur Knöpfe, die durch Niederdrücken ähnlich wie beim Akkordeon einen Unterbeziehungsweise Überdruck hervorrufen, der die Stimmzunge zum Schwingen bringt. Der Luftbalg ist dem Akkordeon gleich, vielleicht in der Spannweite etwas länger. Durch gekonnte Spieltechnik kann der Klang variieren, von zart bis kräftig, von weich und einschmeichelnd bis hart und fordernd.

Ein Instrument der vielen Möglichkeiten, erfunden von dem Krefelder Instrumentenbauer Heinrich Band um das Jahr 1855 herum, als Weiterentwicklung der damals schon erhältlichen „Concertina". Durch nach Brasilien auswandernde Musiker wurde dieses Instrument, wohl hauptsächlich wegen seines „beseelten" Klanges und seiner leichten Handhab- und Transportmöglichkeit, dort zur eigentlichen Stimme des Tangos.

Die Programmfolge enthielt die Granden des Tango Argentina - natürlich Astor Piazolla (1921 -1992) - Meister aller Meister, mit „Sens unique" / ,,Oblivion" und den „5 Tango-Sensations" (hier als Nr. 2 die Vertonung eines Liebesaktes - leidenschaftlich, nachdenklich, zart, explosiv) Matos Rodriguez(1897 -1948) mit dem berühmten „La Cumparsita" und eben Lothar Hensel (geb. 1961), der durch Bearbeitung von berühmten Tango-Themen und Neukompositionen die Geschichte der Tangomusik fortschreibt. Besonders eindrücklich war das in seinem Stück „Las Nieblas del Riachuelo" zu hören.

Hier beschreibt Hensel durch geschickte Tonmalereien die wechselnden Stimmungen und Eindrücke des ehemaligen, nunmehr verfallenen Hafens von Sao Paolo, seine Nebelstimmungen, die Wracks der Schiffe, einsame Nebelhörner und man sieht geradezu plastisch vor sich die in sich zusammengesunkenen Gestalten verarmter Einwanderer, um jede Hoffnung und Zukunft betrogen. Diesem Stück wohnt auch der Titel des Konzertes inne - ,,Tango Sensations" meint nämlich nicht Sensationen, sondern Stimmungen. Und genau diese Stimmungen aller Farben und Facetten, ihr rascher, manchmal unvermittelter Wechsel, die Explosionen des Klanges und das verzweifelte In-sich-Zusammensinken - Ola: Das ist Tango. Tango spielt man nicht, man lebt ihn. Und eines seiner Lebenselixiere war bei diesem Konzert zweifellos auch das Orchester der Philharmonischen Gesellschaft Paderborn unter der sicheren und inspirierten Leitung von Thomas Berning, der sich wieder einmal als kluger Spiritus Rektor, fähiger Dirigent und sicherer Pianist erwies. Drei Zugaben - muss man mehr sagen?

aus: Neue Westfälische, Paderborn, 8. März 2023, Text und Foto von Rainer Abraham


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