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Kompositionen in Vollendung

Das Notos Quartett gastiert auf Einladung der Philharmonischen Gesellschaft in Paderborn. In der ausverkauften Kaiserpfalz begeistern zwei Künstler und zwei Künstlerinnen.

Kompositionen in Vollendung

Paderborn. Es war ein groß-artiges Erlebnis für das Publi-kum in der ausverkauften Kai-serpfalz unterhalb des Domes. Ein Ensemble von internatio-nalem Ruf gab Paderborn die Ehre, anders kann man es nicht nennen. Das 2007 ge-gründete Notos Quartett zählt noch nicht zu den „ganz alten Hasen“ im Quartett-Gesche-hen, ist aber bereits auf der ganzen Welt aufgetreten. Es hat zu Recht etliche bedeutende Preise er-rungen und erschließt sich seit geraumer Zeit auch den Markt der Audiomedien. Die vier, Künstler und Künstlerinnen widmen sich in ihrer Konzertpraxis ausdrücklich auch der Pflege zeitgenössischer Musik. Folgerichtig haben schon bedeutende Komponisten unserer Zeit für dieses Ensemble kompo-niert und ihm Werke gewidmet. Sindri Lederer (Violine), Andrea Burger (Viola), Philip Graham (Vi-oloncello) und Antonia Köster (Klavier) bilden musikalisch und künstlerisch eine absolute Einheit und es ist unglaublich beglückend, dem Quartett zuhören zu dürfen.

Nun also Paderborn. Der Abend eröffnete mit dem Klavierquartett Nr. 1, g-Moll, KV 478, komponiert von W. A. Mozart im Jahr 1785. Dieses Werk ist einer der Meilensteine in der Entwicklung dieser Gattung - es gilt als das erste überhaupt, indem alle vier Instrumente gleichberechtigt behandelt wer-den. Die Zeit der Wiener Klassik stand überhaupt für die Emanzipation der Kammermusik im Zu-sammenspiel unterschiedlicher Instrumente. Nur wenig später schuf Beethoven mit den Sonaten für Violoncello und Klavier für das Tasteninstrument die Möglichkeit, aus dem Dasein als Begleitinstru-ment herauszutreten und eine mit dem Soloinstrument gleichwertige Funktion einzunehmen.

Mozart hinterließ der Nachwelt mit diesem Quartett eine absolute Perle der Quartettmusik, das dilet-tierende Publikum in Wien und sein Verleger Hofmann konnten das noch nicht erkennen. Die Kom-position erschien ihnen zu schwer, also verkaufte es sich zunächst schlecht. Die Tonart g-Moll wird in der Musikliteratur gerne als „Schicksalstonart“ Mozarts gewertet. Dem mag man folgen oder nicht, in der Tat beginnt der erste Satz schicksalhaft schwer und das Werk entwickelt sich erst über seine ganze Länge hin zu der heute an Mozart besonders geschätzten Leichtigkeit. Ein packendes Erlebnis, bei dem die Pianistin des Quartetts vom ersten Ton an besonders aufhorchen ließ.

Es folgte das Divertissement (1933) von Jean Françaix. Dieser viersätzige Geniestreich machte vor allem eines: Vergnügen. Das konnte auch gar nicht anders sein, kommt doch allein schon der Titel von „se divertir“ = sich vergnügen. Und es war ein großartiger Spaß, der den Hörern geboten wurde. Françaix ist einer, der wider den Stachel löckt, der mit diebischem Vergnügen das Publikum zunächst hinter das Licht führt, um es dann zu einem Lächeln oder gar Lachen zu verführen.

Gleichzeitig kann die Musik auch melancholisch, gar traurig sein - sie ist deutlich ein Ausdruck der damaligen, so zerrissenen Zeit, in der die Leiden des Ersten Weltkriegs und die gerade überstandene Weltwirtschaftskrise den Menschen noch stark in Erinnerung waren. Gleichzeitig drohte am europä-ischen Horizont bereits das nächste absehbare Elend - ein aberwitziger Tanz auf dem Vulkan also. Spiel, technisch verlangt das Divertissement dem Ensemble alles ab - das Notos Quartett bewältigte diese schwere Aufgabe mit Bravour.

Nach der Pause nun wieder g-Moll, hier im Quartett Op. 25 von Johannes Brahms. Ein Monument. Brahms wusste genau, was er tat, als er diese Komposition auswählte, um sich dem Wiener Publikum 1862 als Komponist und Pianist vorzustellen. Und er reagiert auf die Gegebenheiten „des Marktes“, indem er die seinerzeit außerordentlich populäre Musik der ungarischen Zigeuner (so nannte man sie damals) bereits im ersten, monumentalen Hauptsatz anklingen lässt, bevor sie im letzten Satz den absoluten Schwerpunkt bildet, mit geradezu aberwitzigen Csardas-Sequenzen, fast unspielbar - Notos kann es. Und wie. Vier großartige Musiker, von denen die Welt der Musik noch viel hören wird. Und mit ein wenig Glück auch Paderborn einmal wieder.

aus: Neue Westfälische, Paderborn, 29. November 2022, Text und Foto von Rainer Abraham


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