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Jugendliche Spielqualität
Die Jungen Sinfoniker OWL zeigen in der Paderhalle, was der Nachwuchs kann. Dirigentin Anne Hinrichsen führt die Musikerinnen und Musiker und vertraut ihnen.
Da sitzen sie nun auf der Bühne der Paderhalle und traktieren ihre Instrumente-von der Geige bis zum Kontrabass, von der Flöte bis zur Tuba und die Pauken dürfen auch mittönen. Jugendliche beiderlei Geschlechts, im Alter zwischen 14 und 20 Jahren, das Ganze nennt sich Junge Sinfoniker OWL, und die Philharmonische Gesellschaft Paderborn darf sich den unschätzbaren Verdienst zurechnen lassen, dieses Konzert ermöglicht zu haben.
Was uns geneigten Hörern da von vorne entgegenkommt, ist schlicht und einfach ein kleines Wunder, oder wie es ein Gast aus dem Publikum ausdrückte: das Gegenstück zu PISA. Wir hörten ein Sinfonieorchester in erstaunlicher Spielqualität - und so ganz richtig kann man das wohl erst ermessen, wenn man zufällig vier Tage vorher an eben dieser Stelle eines der besten deutschen Profi-Orchester zum Vergleich hören konnte. Natürlich ist das alles kein Zu fall, sondern das Ergebnis einer, nun schon seit circa 50 Jahren andauernden, konsequenten und klugen Begabtenförderung - alle jungen Musiker und Musikerinnen sind Siegertypen, nämlich Preisträger des bundesweiten Wettbewerbs „Jugend musiziert". Das ist eine der Voraussetzungen, um überhaupt zum Probespiel für das Orchester eingeladen zu werden, Ausnahmen gibt es natürlich immer.
Und so treffen sie sich zweimal pro Jahr für eine Woche (sic), um gemeinsam mit jeweils wechselnden Dirigentinnen und Dirigenten aus dem Profilager das jeweils neue Programm zu erarbeiten. Wobei - und das ist nicht uninteressant - diese Persönlichkeiten nichtnach dem Kriterium „Siegertyp" ausgesucht werden können. An dieser Position braucht es einen Menschen auch mit pädagogischen Fähigkeiten. Anne Hinrichsen, die Dirigentin des Abends, ist so eine Persönlichkeit. Wir spürten es an der Zuneigung, die ihr vom Orchester entgegengebracht wurde. Sie ist außerdem - nicht so ganz unwichtig - eine hervorragende Dirigentin, die ihren „Apparat" sicher und umsichtig durch alle reichlich vorhandenen Untiefen und vorbei an gefährlichen Klippen steuerte.
Die das Konzert eröffnende Ouvertüre zu „Coriolan" von Ludwig van Beethoven (1770- 1827) enthält eine erkleckliche Anzahl von Gefahrenstellen. Das geht schon mit den eröffnenden, kraftvollen Akkordschlägen los, hier ist Präzision bei allen gleichzeitig gefragt und das tänzerisch - fragende Hauptthema, am Ende durch die Cellogruppe bis ins Pianissimo zurückgeführt, brachte schon ganz andere Musiker zur Verzweiflung.
Und dann kam er, der unzweifelhaft real existierende Star des Abends. Ein Pianist, gesegnet mit einer unfehlbaren, stupenden Spieltechnik, ein 25-jähriger Virtuose im besten Sinne. Einen Namen hat er auch: Julian Gast. In der letzten Saison hatten wir bereits einmal das Vergnügen. Er ist noch nicht einmal fertig mit seiner Ausbildung am Mozarteum in Salzburg - Himmel, was soll das noch werden?
Das angeblich 1. Klavierkonzert von Frederic Chopin (1810-1849) - in Wirklichkeit sein 2. Klavierkonzert, strotzt ja nur so von technischen Schwierigkeiten, brillanten Arpeggien oder mehrstimmigen Kaskaden rauf und runter im Wahnsinnstempo. Julian Gast kann das locker bewältigen und er schafft es sogar, durch aus gefeilte Pedaltechnik einen - wie oft zu hörenden - Klangbrei zu vermeiden. Dass Chopin kein absoluter Meister in Sachen Orchesterarrangement war, dafür kann Anne Hinrichsen nun wirklich nichts, sie führte und steuerte – besser geht.nicht.
Nach der Pause nun Johannes Brahms (1833-1897) mit seiner Sinfonie Nr. 2 D-Dur op.73. Klangseligkeit pur. Der verdienstvoll intelligente Pro grammzettel-Beitrag von Clemens Matuschek erzählt interessant erläuternd von Brahms' Schwierigkeiten, sich überhaupt an Sinfonien zu wagen. Zu groß die Bürde, der angebliche Nachfolger Beethovens zu sein. Erst mit 43 Jahren entstand die 1. Sinfonie, dann aber, der Knoten war geplatzt, folgte sogleich die 2.Sinfonie, das Werk des Abends.
Hier konnten - im ersten Satz - die tiefen Streicher sich einmal so richtig melodieschwanger abarbeiten, eine wunderbar sauber und wohltönende Hornsolistin verzauberte uns und die Flötengruppe tat ihr übriges. Im zweiten Satz sind es wieder die Celli, welche die Initiative ergreifen und im dritten Satz dominieren die Holzbläser im Ländler-Stil, der Wörthersee ließ grüßen. Der fröhliche vierte Satz strotzt nur so von rhythmischen Schwierigkeiten und hier, genau hier zeigte sich dem aufmerksamen Zuhörer, wie großartig Anne Hinrichsen die Weisheit befolgt, dass Führen auch Loslassen ist. Sie vermied es tunlichst, das Orchester durch penibles Einsatzgeben zu erschlagen - sie vertraute sichtbar ihren jungen Musikern. Und hörbar tat sie recht daran. Wir freuen uns auf nächstes Jahr
aus: Neue Westfälische, Paderborn, 30. Januar 2024, Text und Foto von Rainer Abraham