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Interruptionen im Fortissimo

Die Paderborner Philharmonische Gesellschaft eröffnet ihren Konzertzyklus am Tag der Deutschen in der Kaiserpfalz.

Interruptionen im Fortissimo

Paderborn. In guter Tradition eröffnet die Paderborner Philharmonische Gesellschaft ihren Konzertzyklus am Tag der Deutschen Einheit, diesmal aber nicht in der Paderhalle und mit der Nationalhymne, dafür jedoch nicht minder feierlich mit Olga Scheps in der Kaiserpfalz. Vor Jahren schon vertreten im Paderborner Konzertbetrieb, spielt die gereifte Pianistin aus ihrem in der Zwischenzeit erarbeiteten Beethoven-Repertoire zwei Sonaten der vorderen Beliebtheitsklasse.

Die dreisätzige Sonate Nr.8 c-Moll, op.13 auch „Pathétiqueˮ genannt, zeigt den 27jährigen Beet-hoven auf steinigem Weg zu markanten Ausdrucksformen. Revolution, soziale Verwerfungen und Entbehrungen prägen sein frühes musikalisches Schaffen. Olga Scheps verleiht dem eigenwilligen Widerstreit der Gefühle gleich zu Beginn einen intensiven Ausdruck. Ihre zupackende Herangehensweise macht radikale dynamische Gegensätze schon in den ersten Takten deutlich.

Die scheinbar bedächtige Einleitung erfährt sogleich derbe, Interruptionen im Fortissimo. Dicht gepackte Akkordfolgen unterbrechen die Bemühungen, erstrebte Höhen zu erreichen. Der rasante Absturz folgt unmittelbar. Das aufsteigende Hauptthema im Allegro sucht nach Halt und Bestätigung. In Verbindung mit dem melodiösen Seitenthema gestaltet Scheps ein hintergründiges „Frage-Antwort-Spielˮ, mit anschließender Durchführung. Der Satz endet schließlich mit der Wiederholung des Hauptthemas in Atem raubendem Tempo.

Träumerisch beginnt die Pianistin den zweiten Satz in As-Dur, Beethovens erwählte Tonart zur Beschreibung inniger Gemütsbewegung. Sie schlägt ruhigere Töne an. Im Adagio erklingt eine bekannte Liedmelodie, die entspannend wirkt. Kompakte Akkordblöcke und das oktavversetzte Liedmotiv mit Tonartwechsel bestimmen die weitere Satzgestaltung bis zur Coda und langer Fermate.

Als Bravourstück versteht Scheps den dritten Satz, ein Rondo in sehr schnellem Allegro gespielt, das Ritornell am Seitenthema von Satz eins orientiert. Ständig neue fantasievolle Wendungen unterbrechen das wiederkehrende Motiv. Mit Stolz und pianistischem Geschick führt Olga Scheps die Sonate zu Ende.

Fast 25 Jahre später komponiert Beethoven die Sonate Nr. 31 As-Dur, seine vorletzte, op. 110, in drei Sätzen mit besonderer intellektueller Gewichtung des dritten. Mit fei­ner Differenzierung, „molto espressioˮ widmet sich Scheps dem viertaktigen Thema im Hauptsatz und lässt den „klei­nenˮ Steinway, auf dem sie heute spielt, in Feierlichkeit erstrahlen. Sie breitet das reichhaltige Figurenwerk, rhythmisch verschränkte Stimmlagen bis zum Diskant, Triller und plötzliche Oktavsprünge mit Hingabe vor ihren Zuhörern aus.

Der wiegende Dreivierteltakt soll aber nicht in die Oberflächlichkeit wienerischer Possenspiele führen, wie im zweiten Satz vielleicht zu vermuten wäre, da hier gewisse Gassenhauer zu Ohren kommen. Dafür arbeitet Scheps schroffe dynamische Gegensätze und akzentuierte Synkopen em­phatisch heraus und schafft damit effektive Kontraste zur Lyrik des ersten Satzes.

Der in der Musikästhetik als vielleicht „ungewöhnlichster Sonatensatz in Beethovens Gesamtwerk“ bezeichnete dritte Teil verlangt höchste Aufmerksamkeit. Die Fülle thematischen Materials, häufige Takt- und Tonartwechsel, Klagegesang und ausgreifende Fuge sind enorme Herausforderungen an die Interpretin. Olga Scheps erbringt scheinbar mühelos mit unbändiger Kraft die geforderten Höchstleistungen und schließt das Spätwerk in triumphalem Fortissimo ab.

Großer Applaus, Pause, Entspannung und Erholung. Der zweite Teil, des Festkonzertes ist Frédéric Chopin und seinen vier Balladen gewidmet. Das sind weitere vierzig Minuten anspruchsvolles Klavierspiel zur Freude der Hörenden. Scheps’ Mienenspiel zeigt das Ringen um perfekte Interpreta-tion: Glück und Wohlgefallen über gelungene, Passagen, spendiert sie unermüdlich noch berauschende Zugaben, phänomenal die Toccata von Sergei Prokofieff.

Der brausende Beifall signalisiert: Bitte bald wiederkommen.

aus: Neue Westfälische Paderborn, Mittwoch, 5. Oktober 2022, PA5, Text und Foto: Gunther Gensch


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