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Der Flügelschlag des Schmetterlings

Das Orchester der Philharmonischen Gesellschaft bietet ein hoch spannendes Konzert in der Kaiserpfalz. Es beginnt mit einer ungeprobten Aufführung.

Der Flügelschlag des Schmetterlings

Paderborn. Vielen bekannt ist vermutlich die Metapher vom Flügelschlag eines Schmetterlings im Regenwald von Brasilien, der einen Orkan auf der anderen Seite der Erde auslöst. Etwas ganz Ähnliches passierte am Sonntagabend: Verursacht durch einen Unfall auf der A2 blieben einige Mitglieder des Orchesters während der Anreise für mehrere Stunden im dazugehörigen Stau stecken und erreichten Paderborn nicht mehr rechtzeitig zum Konzertbeginn. Was war zu tun?

Die Lösung: Glücklicherweise konnten diejenigen Musiker, die rechtzeitig anwesend waren, in der Not einspringen: Der erste Programmpunkt sollte eigentlich die Bearbeitung des Quintetts F-Dur (1878/1879) für Streichorchester (Hans Stadelmair) sein. Dirigent Thomas Berning konnte in seiner Begrüßungs-Erklärungs-Mitteilungsrede verkünden, dass alle erforderlichen Musiker zur Aufführung des originalen Quintettes an- wesend und bereit wären, die ersten drei Sätze des Werkes (ungeprobt) zu Gehör zu bringen.

Und genau das taten sie auch, und zwar auf eine solch perfekte Weise, dass die Zuhörer nicht nur nichts vermissen mussten, sondern auch noch hoch beglückt über diese musikalische Leistung sein konnten.

Diese Musiker waren im Einzelnen Wienczyslaw Kasprzak und Ladislaw Kosak, Violine / Niv Rom Nagy und Olof von Gagern, Viola/ Hartwig Christ, Violoncello / Fun- seon Jang, Kontrabass. Aber halt - da stimmt doch etwas nicht. Ein Quintett besteht nach Adam Riese aus fünf Musikern und nicht aus sechs. Wo ist der Fehler? Kein Fehler, sondern eine kleine musikalische Sensation: Die Kontrabassistin war nun mal da, also durfte sie auch mitspielen bei diesem Experiment.

Eine ungeheure klangliche Tiefe

Das Ergebnis war geradezu sensationell: diese wunderbare Musikerin schaffte es durch ihre besonders einfühlsame und gesangliche Tongebung (auf einem Kontrabass) in Kooperation mit dem Cellisten, dem Brucknerschen Quintett ein besonders interessantes Klangspektrum zu verschaffen. Des sinfonischen Meisters einziges Kammermusikwerk hatte plötzlich eine ungeheure klangliche Tiefe und ließ die Meisterschaft dieses großen Komponisten auf hochinteressante Weise deutlich werden. Was man da erleben durfte, war einer der ganz seltenen, schöpferischen Mo- mente im Konzertwesen. Dank an Thomas Berning, der hier die Fäden aus dem Hintergrund lenkte.

Nach der Pause durfte Thomas Berning nun das tun, was er eigentlich schon vor der Pause hätte tun wollen: Dirigieren. Das tut er gerne und das kann er. Berning ist ja nicht nur Domkapellmeister am Hohen Dom, er ist außerdem Künstlerischer Leiter der Philharmonischen Gesellschaft Paderborn und Leiter des Chores des städtischen Musikvereins Gütersloh. Vermutlich war es nicht leicht für ihn, auf das Dirigat des Bruckner-Werkes verzichten zu müssen, denn dieses hat technische, besonders im 1. Satz rhythmische Tücken, ein Leckerbissen für jeden Dirigenten.

Zum Ausgleich bot ihm Edward Grieg (1843-1907) mit seiner Suite „Aus Holbergs Zeit", Suite im alten Stil für Streichorchester G-Dur op.40 (1884) die Möglichkeit, die besonderen Farben Griegs nachzumalen. Der norwegische Dichter Ludwig Holberg feierte im Entstehungsjahr der Suite seinen 200. Geburtstag und Grieg versuchte, ihm zu Ehren, eine Synthese zwischen barocker Musik und eigener Tonsprache.

Dirigent mag seine Musiker

Die Satzbezeichnungen Praeludium, Sarabande, Gavotte, Air, Rigaudon erinnern an Johann Sebastian Bach oder Georg Friedrich Händel, der Streicherklang·ist fest im romantischen Duktus verhaftet. Thomas Berning genoss sichtlich diese wunderbaren Klänge, er zeichnete nach, führte besonders bei den schwierigen rhythmischen Abschnitten und auch das war deutlich er- sichtlich: Er mag seine Musiker.

Und die Streicher des Orchesters der Philharmonischen Gesellschaft zeigten aufs Schönste, was solides Können und musikalische Fähigkeiten bewirken können. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass genau dieses Orchester sich schon immer dadurch auszeichnete, „bunt" gewürfelte Kollegen und Kolleginnen zu verpflichten. Genau das alles zusammen machte den Konzertabend zu dem, was er war: Ein besonderes Erlebnis.

aus: Neue Westfälische, Paderborn, 5. März 2024, Text und Foto von Rainer Abraham


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